Am 5.6 und 6.6. verwandelte sich die Aula des Gymnasiums Walldorf in die Stadt der Kanäle, Masken und fliegenden Löwen: Venedig – Venezia. Doch statt Jeff Bezos´ Hochzeitsgesellschaft oder überquellende Kreuzfahrtschiffe sah das voll besetzte Publikum die Theater AG des Gymnasiums Walldorf, die eine dramatisierte Fassung des berühmten Kinderromans „Herr der Diebe“ von Cornelia Funke aufführte.
In „Herr der Diebe“ fliehen die Geschwister Bo und Prosper nach dem Tod ihrer Mutter nach Venedig, weil ihre Tante Bo adoptieren, aber Prosper ins Internat schicken will. In Venedig schließen sie sich einer Kinderbande an, die in einem alten Kino wohnt. Angeführt wird die Gruppe vom geheimnisvollen Scipio, der sich selbst „Herr der Diebe“ nennt. Er behauptet, nachts als Dieb für Geld zu sorgen. Bald bekommt die Bande einen ungewöhnlichen Auftrag: Sie sollen ein geheimnisvolles Holzflügelrad stehlen. Dabei geraten sie in ein Abenteuer mit einem rätselhaften Karussell, das das Alter von Menschen verändern kann. Es stellt sich heraus, dass Scipio in Wahrheit gar kein Waisenkind ist, sondern der Sohn eines reichen Mannes – und eigentlich gar kein richtiger Dieb. Am Ende verändert das magische Karussell das Leben mehrerer Figuren – einige werden älter, andere jünger – und die Kinder müssen lernen, was Familie, Freiheit und Freundschaft wirklich bedeuten.
Die moderne Inszenierung der Theater AG unter der Leitung von Theaterlehrer Jonas Rehm überzeugte auf ganzer Linie. Das reduzierte Bühnenbild bestand aus großflächigen Venedig-Impressionen und weißen Kartons, die polyfunktional eingesetzt wurden. Die vielen Ortswechsel wurden durch die Arbeit mit zwei Spielebenen sowie Licht- und Toneinsatz gelöst. So bewegten sich die Waisenkinder beispielsweise, wenn sie gerade nicht in der Szene waren, auf dem Boden und stellten für die Erwachsenen damit nicht nur gedankliche, sondern auch reale physische Hindernisse dar.
Eingeleitet wurde das Stück durch eine stumme Szene des Protagonisten Scipio, den Daphne Harder herausragend interpretierte und dabei ihr ganzes schauspielerisches Können zeigte. Sei es als arrogant und selbstbewusst auftretender Anführer der Waisenbande um die umsichtige Wespe (Mara Peter), den aufbrausenden Riccio (Lour Alkatheeb) oder den verfressenen Mosca (Nicole Lin) oder aber als eingeschüchtertes Kind des strengen Vaters Dr. Massimo (Patricia Leopold). Das Brüderpaar Prosper (Kexin Wang) und Bo (Natalie Klug) ergänzte sich hervorragend und ließ sich auch nicht von den drei eingebildeten und selbstsüchtigen Tanten (Lucia Schilling, Emma Wippermann, Mina Hennig) aus der Fassung bringen.
Die Auftritte der drei Tanten sorgten jedes Mal für Lacher und die zur Suche nach den Brüdern beauftragte Privatdetektivin Victoria Getz (Asma Badenjki) hatte bereits nach ihrem ersten Auftritt die Sympathien des Publikums auf ihrer Seite. Ursprünglich von den Tanten beauftragt, verbündete sie sich mit der Kinderbande und gemeinsam mit der reichen Venezianerin Ida Spavento (Fiona Heitmann) konnte der Auftrag des Conte (Julius Peter) erfüllt und das Stück trotz der Intrigen des geldgierigen Händlers Barbarossa (Titus Peter) zu einem guten Ende geführt werden. In weiteren Rollen überzeugten als Waisenkinder (Carolina Sulan, Yuze Li, Mara Windisch), Signora Massimo (Ira Trivedi), Renzo (Remo Gröne), erwachsener Scipio (Neil Shridar), Straßenkünstler/Statisten/Polizisten (Svenja Galka, Wiktor Radomski, Jasmin Khairy, Zlata Kochneva).
Die Stimmung im Publikum wechselte von herzhaftem Lachen über den Boxkampf zwischen Victoria Getz und einem Passanten zu einem spannungsgeladen Blick auf Scipio und Prosper beim Betreten der geheimnisvollen Isola Segreta.
Die letzten Sätze des Stückes hat der nun erwachsene Scipio: „Herr der Diebe, wir brauchen dich nicht mehr“.
Eigentlich schade.
Der Rest ist Applaus!